Medizinrecht

Wahlrecht bei Hilfsmitteln

Für Rollstühle gibt es verschiedenste Bauarten und Mechanismen. Laut LSG Niedersachsen - Bremen mit Urteil v. 13.09.2022 unter dem Az. L 16 KR 421/21ist dabei ein entscheidender Punkt bei der Auswahl der Wunsch der behinderten Person, das gebiete ihr Recht auf Selbstbestimmung. Ein querschnittsgelähmter Mann beantragte für seinen Rollstuhl ein elektrisches Zuggerät, die Krankenkasse verweigerte ihm dies jedoch. Das LSG verurteilte die Kasse nun allerdings zur Kostenübernahme.

Dem Wunsch- und Wahlrecht Behinderter ist im Rahmen der Hilfsmittelversorgung weiter Raum zu gewähren. Ein querschnittsgelähmter Mann nutzte bislang einen sogenannten Aktivrollstuhl, der mit einem mechanischen Zuggerät, einem Handbike, ausgestattet war. In letzter Zeit litt der 49-Jährige aber zunehmend unter Schulterbeschwerden und seine Kraft ließ nach. Die Fortbewegung mit dem Handbike wurde für ihn daher immer beschwerlicher. Er beantragte daher bei seiner Krankenkasse statt des rein mechanischen, durch Körperkraft betriebenen Handbikes ein Zuggerät, das neben dem Antrieb durch Körperkraft auch elektrisch unterstützt. Der Antrag wurde von der Krankenkasse jedoch abgelehnt. Stattdessen wurde ihm ein Elektrorollstuhl angeboten. Die Kasse begründete dies damit, dass ein elektrisch unterstütztes Zuggerät zwar wünschenswert und auch sinnvoll und hilfreich sein könne. Allerdings könne die Basismobilität auch mit einem rein elektrischen Hilfsmittel gesichert werden, das nur etwas die Hälfte kosten würde. Das von dem Mann gewünschte elektrisch unterstützte Zuggerät stelle daher eine nicht notwendige Überversorgung dar. Der 49-Jährige lehnte den Elektrorollstuhl jedoch ab, denn eine solche rein passive Fortbewegungsmöglichkeit sei für ihn keine adäquate Alternative. Auch der Medizinische Dienst habe außerdem in seinem Fall einen Elektrorollstuhl als eine "Zumutung" bewertet. Das LSG verurteilte die Kasse nun zur Übernahme der Kosten für das gewünschte elektrisch unterstützte Zuggerät. Ein Querschnittsgelähmter, der lediglich eine elektrische Unterstützung für seinen Aktivrollstuhl benötige, könne nicht gegen seinen Willen auf einen rein passiven elektrischen Rollstuhl verwiesen werden. Bei der Prüfung des Anspruchs auf ein solches Hilfsmittel habe die Kasse mit dem Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs zwar das richtige Kriterium herangezogen. Dieses dürfe laut Gericht aber nicht zu eng gefasst werden und verwies dabei auf eine grundrechtskonforme Auslegung der Regelung, die Teilhabeziele des Neunten Sozialgesetzbuches und die UN-Behindertenrechtskonvention. Behinderte Menschen haben laut Gericht bei ihren Hilfsmitteln ein Wunsch- und Wahlrecht, dem volle Wirkung zu verschaffen sei. "Die Leistung müsse dem Berechtigten viel Raum zur eigenverantwortlichen Gestaltung der Lebensumstände lassen und die Selbstbestimmung fördern.", stellt das LSG klar. Im Fall des klagenden querschnittsgelähmten Mannes widerspräche die Versorgung mit einem von ihm nicht gewünschten Elektrorollstuhl seinem Selbstbestimmungsrecht.

Wohlüberlegte Operations-Einwilligung notwendig

Wohlüberlegte Operations-Einwilligung erfordert Bedenkzeit. Da nach § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB die Aufklärung über die Risiken einer Operation so rechtzeitig zu erfolgen hat, dass der Patient bzw. die Patientin die Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann, ist eine Einwilligung, die durch Unterzeichnung des Aufklärungsformulars unmittelbar nach dem Ende des Aufklärungsgesprächs erfolgt, im Regelfall unwirksam. Denn dieser zeitliche Ablauf eröffnet dem Patienten bzw. der Patientin nicht die Möglichkeit, den Inhalt des Aufklärungsgesprächs so zu verarbeiten, dass ihm bzw. ihr eine wohlüberlegte Entscheidung möglich ist. Die Annahme einer konkludenten Einwilligung eines Patienten bzw. einer Patientin durch die spätere stationäre Aufnahme ins Krankenhaus wird regelmäßig daran scheitern, dass ihm bzw. ihr einerseits das für die Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung notwendige Erklärungsbewusstsein fehlen wird und andererseits das Krankenhaus dem Verhalten des Patienten bzw. der Patientin keinen Erklärungswert beimessen wird, solange beiden das Bewusstsein der Unwirksamkeit der Einwilligung fehlt.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 25.11.2021 – 5 U 63/20

Arzt darf Risiken bei Hirn-OP nicht verharmlosen

Wirft eine Patientin einem Krankenhaus vor, dort habe man sie vor einer Hirnoperation falsch aufgeklärt, weil ein Aufklärungsformular verwendet wurde, wonach es "selten" zu schweren bleibenden Störungen kommt, obwohl in ihrem konkreten Fall ein bis zu fünfzigprozentiges Risiko für eine bleibende Störung (hier: unter anderem Lebensgefahr und Gerfahr neurologischer Störungen) bestand, so hat das Gericht sich mit diesem Vorbringen auseinander zu setzen und zu prüfen, ob der aufklärende Arzt damit die Risiken der Operation nicht in unerlaubter Weise verharmlost hat.

Der Fall:
Eine Frau ließ sich wegen eines Hirntumors bei der beklagten Klinik operieren. Zuvor unterzeichnete sie ein Aufklärungsformular. In diesem Formular waren zwar diverse Risiken ausdrücklich benannt, unter anderem lebensbedrohliche Komplikationen oder epileptische Anfälle. Allerdings wurde dort auch ausgeführt:
Seien Sie durch die Aufzählung der Komplikationsmöglichkeiten bitte nicht beunruhigt, diese treten keinesfalls regelhaft auf. Im Gegenteil, sie bilden die Ausnahme. Treten dennoch Komplikationen auf, können sich Störungen und Ausfälle im Laufe der Zeit wieder zurückbilden. Nur selten kommt es zu schweren bleibenden Störungen." Daher warf die Klägerin dem Krankenhaus vor, es habe die Risiken der Operation zwar dargestellt, dann aber an anderer Stelle verharmlost. Deshalb habe sie das Risiko fehlerhaft zu gering eingeschätzt. Die Klägerin monierte des weiteren, der Arzt habe zwar einzelne Passagen der benannten Risiken unterstrichen und damit hervorgehoben (z.B. "lebensbedrohliche Komplikation"). Allerdings habe er die Passage, dass es zu schweren und insbesondere dauerhaften Ausfällen kommen könne, nicht unterstrichen. Bei richtiger Aufklärung auch über die schweren Risiken hätte sie eine zweite ärztliche Meinung eingeholt. Landgericht und Oberlandesgericht sahen dies anders und wiesen ihre Arzthaftungsklage als unbegründet ab. Dabei ging das OLG nicht auf die von der Klägerin behauptete Verharmlosung ein. Die Klägerin ging jedoch in Revision vor den BGH, welcher das Urteil des Oberlandesgerichts aufhob und die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das Berufungsgericht verwies. Das tatsächlich bei einer solchen Hirnoperation bestehende Risiko eines neurologischen Defizits ist aus Sicht des BGH mit den verwendeten Begriffen "Ausnahme" oder "selten" oder "wird sich zurückbilden" nicht zutreffend beschrieben. Allgemein gilt: Erweckt der aufklärende Arzt beim Patienten durch die unzutreffende Darstellung der Risikohöhe eine falsche Vorstellung über das Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahr und verharmlost dadurch ein verhältnismäßig häufig auftretendes Operationsrisiko, so kommt er seiner Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nach und es liegt ein Aufklärungsfehler vor. Der Bundesgerichtshof monierte, dass das Oberlandesgericht der Klägerin kein hinreichendes rechtliches Gehör geschenkt habe. Denn es habe den Vortrag der Frau zu der Verharmlosung der Risiken nicht hinreichend berücksichtigt.
Das Oberlandesgericht muss nun erneut über die Sache entscheiden und dabei die Rechtsauffassung des BGH berücksichtig. Das in den üblicherweise verwendeten Aufklärungsformularen konkrete Risiken einer Behandlung oder Operation zwar ausdrücklich (und somit korrekt) benannt werden, dann aber an späterer Stelle diese Risiken wieder in der ein oder anderen Art und Weise eingeschränkt und damit verharmlost werden, ist in der Praxis häufig anzutreffen, insbesondere finden sich oftmals Formulierungen, wonach sich die Risiken, soweit sie sich verwirklichen, in der Regel folgenlos wieder zurückbilden oder Folgen (sinngemäß) wieder "abheilen". Der BGH hat nun diese formularmäßige Verharmlosung kritisiert und in den Vordergrund wieder das konkrete Aufklärungsgespräch gestellt, nicht das verwendete Formular. Das Formular ist lediglich ein Indiz dafür, ob über bestimmte Punkte gesprochen wurde oder nicht.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2022 - VI ZR 342/21)